Montag, 17. Dezember 2012

PSSST in der Frankfurter Rundschau!



Was ist Kunst? Gar nicht so einfach zu sagen. Denn die vermutlich einzig universell gültige Antwort heißt: „Kommt drauf an.“
Ja, und auf was? Darüber erfahren Kinder so einiges, wenn sie die Ausstellung „Pssst!“ in der Dependance Zollamt des Frankfurter Museums für Moderne Kunst (MMK) besuchen. Keine Kunst ist zum Beispiel der Kronkorken einer Bionadeflasche, als Johann, sechs Jahre alt, ihn noch in der Hosentasche spazieren trug. Der zugegebenermaßen für einen Kronkorken recht gut aussehende Verschlussdeckel (Zielscheibenoptik in Blau und Rot) erlebt seine Verwandlung erst, als er der Frankfurter Künstlerin Moni Port in die Hände fällt. Moni Port hat das Ding, das jeder außer Johann eher in einen Mülleimer als in eine Hosentasche gesteckt hätte, in einen Glaskasten gelegt. Zusammen mit etwa 100 anderen Glaskästen voller Gegenstände, die Jungen und Mädchen aus aller Welt in den Tiefen ihrer Jeanstaschen gefunden und an Moni Port aus Frankfurt geschickt haben, ist Johanns klebriger Bionadedeckel Teil eines Kunstwerks geworden. Genauso wie das Fruchtbonbonpapier (Himbeere) von Marta aus Lissabon. So funktioniert Kunst.
#textline
Die Ausstellung „Pssst!“ ist eine Premiere im MMK, die das Haus zusammen mit dem Kindermuseum organisiert: Erstmals sind Werke zu sehen, die sich Künstlerinnen und Künstler extra für junge Besucher ausgedacht haben. Es ist natürlich nicht das erste Mal, dass sich die Museumsmacher etwas für Kinder ausgedacht haben. „Workshops und Kinderführungen zu laufenden Ausstellungen gibt es bei uns schon lange“, betont Direktorin Susanne Gaensheimer.

16 Künstler aus Frankfurt und London haben für das Projekt zusammengearbeitet, darunter der bekannte Kinderbuchillustrator Philip Waechter. Zentrales Thema sind Geheimnisse. So tauchen unter den interaktiven Werken imaginäre Begleiter ebenso wie Rätsel und geheime Bilder auf. Schätze offenbaren sich, es müssen aber auch Geheimnisse gelüftet und enträtselt werden.
Mit der Frage, wem man ein Geheimnis anvertrauen sollte (und wem besser nicht) setzen sich der Engländer Rob Lowe mit seiner Geheimwand sowie Zuni und Kirsten von VON ZUBINSKI auseinander, deren „Beichtbude“ private Geständnisse in einem Reißwolf vernichtet. Kinder oder Erwachsene haben sie zuvor dort eingespeist. Nur Mut! Niemand wird je vom Schokoladenklau, niemand vom Fremdknutschen auf der Weihnachtsfeier erfahren.
Geheime Codes von Simon Peplow und der „Geheimbotschafter“ von Christopher Fellehner bieten außerdem die Möglichkeit, Unsagbares zu verschlüsseln. Hinter den Tierbildern von Claudia Weikert tut sich Eigenartiges auf. Die Arbeiten von Anke Kuhl und Adam Higton zeigen dagegen, dass jeder unverhofft Teil eines Geheimnisses werden kann, ob er will oder nicht. Spannende Sache. Geheimnisträger brauchen aber auch Rückzugsorte und Zeichnen. Graffitisprayer sind darin Experten, das weiß und zeigt Matthew Bromley. Das Monstermaul von Gemma Correll, phantastische Zeichnungen von Philip Waechter und eine geheime Tür von Natascha Vlahovic verlangen den jungen Besuchern ein wenig Mut ab.

Die beteiligten Frankfurter gehören zur Künstlergruppe Labor, die national und international mit Grafik, Illustrationen und Kunst für Kinder erfolgreich ist. Ihre regelmäßig erscheinenden „Kinder-Künstler-Kritzelbücher“ sind in viele Sprachen übersetzt worden. Die Künstler aus England sind unter anderem durch das bemerkenswerte Kinder-Magazin „Anorak“ bekanntgeworden. Eine Redaktion aus London versammelt viermal im Jahr Grafiker, Illustratoren und Künstler, um zu einem jeweils anderen Thema ein Heft zu gestalten.
„Das alles ist Kunst, die keine Gebrauchsanweisung braucht“, sagt Kurator Jakob Hoffmann. „Wir sind froh, Künstler gefunden zu haben, die Kindern etwas zutrauen.“ Dazu gehört auch: stehen und schauen zu können. „Wir haben bewusst darauf verzichtet, der Ausstellung den Charakter eines Eventparks zu geben.“
Dabei ist Anfassen nicht nur erlaubt, sondern auch erwünscht. Philip Waechters Walbild zum Beispiel. Das lässt sich wie ein Rollo hochziehen, und auf einmal sieht man, welches Treiben im Bauch des Wals stattfindet: Da lebt nämlich ein ganzer Haufen Leute in schön verschachtelten Wohnungen. Ganz im Geheimen.

Foto: Rolf Oeser

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen